Säuren und Basen
Drei Konzepte
Unser Verständnis über Säuren und Basen hat sich historisch über einen langen Zeitraum herausgebildet:
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1884 bzw. 1887 lieferte Arrhenius die erste moderne, auf der Annahme von frei beweglichen Ionen basierende Definition: Eine Säure ist eine Substanz, die H+-Ionen im Wasser freisetzt; eine Base ist eine Substanz, die OH--Ionen freisetzt. Dieses Konzept entstand noch bevor überhaupt geladene Elementarteilchen akzeptiert und etabliert waren (was erst in den späten 1890er Jahren erfolgte). H+-Ionen sind Protonen.
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1923 erweiterten Lowry und Brønsted das Konzept mit der Idee, dass bei Säure-Base-Reaktionen ein Protonen-Transfer von einem Protonendonator (der Säure) zu einem Protonenakzeptor (der Base) stattfindet. Das Lösungsmittel muss nun nicht mehr Wasser allein sein; das neue Konzept ist auf nichtwässrige Lösungen übertragbar (Ammoniak, Alkohol, Benzol und andere).
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15 Jahre später ging Lewis noch einen Schritt weiter, indem er den “Protonen-Transfer” in das viel allgemeinere Konzept des “Elektronenpaar-Transfers” einbettete. Damit vergrößerte sich der Anwendungsbereich deutlich bis hin zur Koordinationschemie (Bildung von Metall-Ligand-Komplexen) und zu Substitutionsreaktionen in der organischen Chemie.
Die drei Konzepte lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Konzept | Säure | Base | |
---|---|---|---|
Arrhenius (1884/87) | enthält H+ | enthält OH- | |
Brønsted-Lowry (1923) | H+-Donator | H+-Akzeptor | |
Lewis (1938) | e--Paar-Akzeptor | e--Paar-Donator |
Das Venn-Diagramm rechts zeigt, wie das “allumfassende” Lewis-Konzept die Konzepte von Brønsted-Lowry und Arrhenius in sich einschließt.
Spricht man von Säuren oder Basen, so spricht man zwangsläufig vom pH-Wert. Der pH ist ein Maß für die H+-Konzentration (genauer: der H+-Aktivität). So ist es naheliegend, fortan das Protonen-Transferkonzept von Brønsted-Lowry zu bevorzugen.1
Protonen-Transfer in Säure-Base-Reaktionen
Eine Säure HA ist ein Protonendonator; sie setzt im Wasser Protonen frei (in Form von H+ bzw. H3O+):
(1a) | HA = H+ + A- |
(1b) | HA + H2O = H3O+ + A- |
Beide Formeln drücken denselben Sachverhalt aus. Wir favorisieren die kürzere Schreibweise in 1a,2 behalten aber im Hinterkopf, dass freie H+-Ionen im Wasser nicht vorkommen (dazu sind sie zu reaktiv und bilden sofort das Hydronium-Ion H3O+).
Bei Säuren sind die Definitionen von Arrhenius (Substanz, die H+ enthält) und von Brønsted-Lowry (H+-Donator) quasi identisch. Bei Basen ist dies aber nicht der Fall:
Arrhenius-Base: | enthält OH- | (z.B. NaOH, KOH, NH4OH, …) | ||
Brønsted-Lowry-Base: | H+-Akzeptor | (z.B. OH-, Cl-, NH3, …) |
So lassen sich zwar alle Arrhenius-Basen3 in einer einzigen H+-Akzeptor-Gleichung zusammenfassen:
(2) | OH- + H+ = H2O , |
bei Brønsted-Lowry kommt allerdings etwas ins Spiel, was es bei Arrhenius nicht gibt: konjugierte Säure-Base-Paare.
Konjugierte Säure-Base-Paare. Man addiere 1a zu 2 und erhält:
(3a) | HA | + | OH- | = | H2O | + | A- | |
(3b) | Säure | + | Base | = | konjug. Säure | + | konjug. Base | |
(der Base OH-) | (der Säure HA) |
In dieser Reaktionsgleichung treten die H+ Ionen nicht explizit auf, da diese zwischen konjugierten Säure-Base-Paaren übertragen werden. Sie treten nur in den “Halb-Reaktionen” 1a und 2 auf.
(3c) | Säure | = | H+ | + | konjug. Base | |
(Proton-Donor) | (Proton-Akzeptor) |
3c ist allgemeingültig und auf mehrprotonige Säuren anwendbar, und zwar auf jeden einzelnen Dissoziationsschritt (wie hier).
Autoprotolyse. Ein Spezialfall von 3a ist die Selbstdissoziation des Wassers:
(4) | H2O + H2O = H3O+ + OH- |
Hier agiert Wasser sowohl als Säure als auch als Base. Solche Stoffe nennt man “Ampholyte”.
Säurekonstante KS und pKS-Wert
Protonentransfer-Reaktionen laufen sehr schnell ab, so dass sich das chemische Gleichgewicht in kürzester Zeit einstellt. Dies legitimiert das Anwenden der Gleichgewichts-Thermodynamik (ganz im Gegensatz zu langsamen Reaktionen, wie z.B. den Redox-Prozessen, deren Beschreibung meist Kinetik-Gleichungen erfordert).
Die Gleichgewichtskonstante der Reaktionsgleichung (1a) heißt
(5) | Säurekonstante: | \(K_S = \dfrac{\{H^+\}\{A^-\}}{\{HA\}}\) |
Der Wert von KS ist ein Maß für die Stärke der Säure (je größer KS, desto stärker die Säure). Da die KS-Werte mehrere Zehnerpotenzen überstreichen, geht man oft zum Logarithmus von 5 über:
(6) | log KS = log {H+} + log {A-} – log {HA} |
Der negative dekadische Logarithmus der Säurekonstanten wird hierbei mit pKS abgekürzt:
(7) | pKS = – log KS |
Mit der Definition des pH-Werts, pH = –log {H+}, ergibt sich aus 6:
(8) | pKS = pH – log {A-} + log {HA} |
Anhand des pKS-Werts lassen sich Säuren in starke und schwache Säuren einteilen. In der Literatur findet man dazu viele unterschiedliche Klassifikationen; eine sehr einfache ist hier.
Mehrprotonige Säuren
Säuren können 1, 2 oder mehrere Protonen (H+) freisetzen. Typische Beispiele sind:
1-protonige Säure (HA) | 2-protonige Säure (H2A) | 3-protonige Säure (H3A) | |
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HCl | H2CO3 | H3PO4 | |
HNO3 | H2SO4 | H3AsO4 | |
HI | H2CrO4 | Zitronensäure | |
HF | H2SeO4 | … | |
Ameisensäure | Oxalsäure | ||
Essigsäure, … | … |
Eine 1-protonige Säure ist durch eine Säurekonstante K1 (= KS), eine 2-protonige Säure durch zwei Säurekonstanten (K1, K2) und eine 3-protonige Säure durch drei Säurekonstanten (K1, K2, K3) charakterisiert — für jede Dissoziationsstufe jeweils eine Konstante:
1. Dissoziationsstufe: | H3A = H+ + H2A- | K1 | ||
2. Dissoziationsstufe: | H2A- = H+ + HA-2 | K2 | ||
3. Dissoziationsstufe: | HA-2 = H+ + A-3 | K3 |
Die drei Dissoziationsstufen einer 3-protonigen Säure lassen sich auch schreiben als
H3A = H+ + H2A- | K1 | ||
H3A = 2H+ + HA-2 | K1K2 | ||
H3A = 3H+ + A-3 | K1K2K3 |
wobei hier jede Reaktion durch neue Gleichgewichtskonstanten definiert ist (Produkte gebildet aus K1, K2 und K3). Dieses Konzept ist für beliebige N-protonige Säuren erweiterbar. Ein Exot mit N = 7 ist beispielsweise EDTA.
Die Protonen werden nacheinander von der Säure freigesetzt, das erste ist am leichtesten gebunden und wird am schnellsten abgegeben, danach das zweite (welches stärker gebunden ist), danach das dritte (noch stärker gebunden), usw. Das ergibt für eine mehrprotonige Säure die folgende Rangordnung der Säurekonstanten:4
(9) | K1 > K2 > K3 | bzw. | pK1 < pK2 < pK3 |
So gilt für die (3-protonige) Phosphorsäure: pK1 = 2.15, pK2 = 7.21, und pK3 = 12.35.
Beispiele. Einfache Berechnungsformeln gibt es sowohl für 2-protonige als auch für N-protonige Säuren.
Anmerkungen
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Eine ausführliche mathematische Beschreibung findet man im Review (2021) oder als Lecture (2023). ↩
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Diese Kurzschreibweise deckt sich auch mit der Notation in den thermodynamischen Datenbanken (z.B. wateq4f.dat). ↩
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Arrhenius-Basen lassen sich z.B. mit BOH abkürzen, wobei das Kation B+ für Na+, K+, NH4+ usw. steht. ↩
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Bei organischen Säuren können die 2. und 3. Säurekonstante von ähnlicher Größe sein. ↩