Äquivalenzpunkte (Carbonatsystem)
Der Äquivalenzpunkt (EP) bei einer Säure-Base-Titration ist der Punkt bzw. pH-Wert, bei dem die Stoffmengen an Säure und Base gleich sind:1
(1) | Stoffmenge Säure = Stoffmenge Base |
Beim Carbonatsystem mit seinen drei Spezies (CO2, HCO3-, CO3-2) unterscheidet man drei Äquivalenzpunkte, die jeweils dem Gleichgewichts-pH folgender Lösungen entsprechen:2
(2a) | CO2 EP | ⇔ | pH einer H2CO3-Lösung | ⇔ | [H+] = [HCO3-] | |||
(2b) | HCO3- EP | ⇔ | pH einer NaHCO3-Lösung | ⇔ | [CO2] = [CO3-2] | |||
(2c) | CO3-2 EP | ⇔ | pH einer Na2CO3-Lösung | ⇔ | [HCO3-] = [OH-] |
Die rechts außen stehenden Beziehungen (Gleichheit der Spezies-Konzentrationen) sind eine alternative Definition des EP. Doch Vorsicht, diese Definition gilt nur näherungsweise. Eine generelle Übersicht zum Thema Äquivalenzpunkte ist hier.
Der pH eines Äquivalenzpunkts ist keine konstante Größe, sondern hängt von der Menge des gelösten anorganischem Kohlenstoffs ab, sprich vom DIC-Wert:3
(3a) | CT = [CO2] + [HCO3-] + [CO3-2] = DIC |
Der CT-Wert entspricht der molaren Zugabemenge von H2CO3, NaHCO3 bzw. Na2CO3.
Zur Vorgehensweise. Im Folgenden berechnen wir die Äquivalenzpunkte als Funktion des CT auf drei verschiedenen Wegen (vom Einfachsten zum Genauesten):
- W1 Näherungsformel basierend auf Verteilungskoeffizienten a0, a1, a2
- W2 exakte Beziehung zwischen CT und pH
- W3 numerisch mit Aktivitätskorrekturen (aqion bzw. PhreeqC-Rechnungen)
Diesen drei Berechnungswegen liegen unterschiedliche Näherungen bzw. Annahmen zugrunde:
Autoprotolyse des Wassers | Aktivitäts-Korrekturen | Komplex-Bildung | ||
---|---|---|---|---|
W1 | nein | nein | nein | |
W2 | ja | nein | nein | |
W3 | ja | ja | ja |
W3 beschreibt die Realität am besten; die anderen beiden Berechnungswege sind Näherungen davon.
Die Autoprotolyse des Wassers (Kw = [H+] [OH-] = 10-14) macht sich bei stark verdünnten Säuren bemerkbar (also bei sehr kleinem CT); in diesen Fällen versagt W1.
Bei W2 hingegen verhält es sich umgekehrt. Dort treten Probleme bei sehr hohen CT-Werten aus zwei Gründe auf: (a) die fehlenden Aktivitätskorrekturen bei hohen Ionenstärken, (b) die Bildung aquatischer Na-Komplexe. So spielen beide Faktoren insbesondere bei hohen Na2CO3-Zugaben eine Rolle.
Notation. Das Carbonat-Ion kürzen wir mit A-2 = CO3-2 ab. Die oben stehende Formel für CT lautet damit:
(3b) | CT = [H2A] + [HA-] + [A-2] |
Mehr Info dazu findet man in der PowerPoint-Präsentation, im Review (2021) oder als Short Lecture (2023).
W1 — Näherungsformel basierend auf Verteilungskoeffizienten
Die einfachste Beschreibung der drei Carbonatspezies
(4) | [H2A] = CT a0 | [HA-] = CT a1 | [A-2] = CT a2 |
basiert auf den Verteilungskoeffizienten (wobei x = [H+] = 10-pH):
(5a) | a0 = ( 1 + K1/x + K1K2/x2 )-1 | |||
(5b) | a1 = ( x/K1 + 1 + K2/x )-1 | = | (K1/x) a0 | |
(5c) | a2 = ( x2/(K1K2) + x/K2 + 1 )-1 | = | (K2/x) a1 |
mit den Gleichgewichtskonstanten K1 = 10-6.35 und K2 = 10-10.33. Die in den 2a bis (2c) rechts stehenden Bedingungen führen zu einfachen Formeln für CT als Funktion des pH = –log x:
(6a) | [H+] = [HA-] | ⇒ | x = CT a1 | ⇒ | CT = x2/K1 + x + K2 | |
(6b) | [H2A] = [A-2] | ⇒ | a0 = a2 | ⇒ | x2 = K1K2 für alle CT | |
(6c) | [HA-] = [OH-] | ⇒ | CT a1 = Kw/x | ⇒ | CT = (Kw/x2) (x2/K1 + x + K2) |
wobei Kw = 10-14. Die drei hier in braun stehenden Gleichungen sind im Diagramm als gestrichelte Kurven dargestellt. Die gestrichelte Darstellung soll daran erinnern, dass es sich um Näherungsformeln handelt, die zwar für die meisten praktischen Belange gut e Dienste leisten, bei extrem kleinen Werten von CT aber versagen. Wie stark diese vom “exakten Wert” abweichen, zeigt das zweite Diagramm.
W2 — Exakte Beziehung zwischen Gesamtmenge CT und pH
Es besteht eine exakte Beziehung zwischen pH und der Gesamtmenge CT an H2CO3 (n=0), NaHCO3 (n=1) bzw. Na2CO3 (n=2):
(7) | \(C_T = \left(\dfrac{K_w}{x}-x\right) \ \left(n-\dfrac{1+2K_2/x} {x/K_1 + 1 + K_2/x}\right)^{\!-1}\) |
Die damit berechneten Kurven für n = 0, 1 und 2 sind zusammen mit den drei gestrichelten Näherungslösungen aus dem vorhergehenden Diagramm hier dargestellt:
Meerwasser. Die bisherigen Ergebnisse gelten für Ionenstärken nahe Null, I ≈ 0. Für höhere Ionenstärken muss man entweder Aktivitätskorrekturen vornehmen oder man ersetzt die universellen thdyn Gleichgewichtskonstanten K durch konditionelle Gleichgewichtskonstanten, K → cK. Meerwasser mit I ≈ 0.7 M liegt im Grenzbereich herkömmlicher Aktivitätsmodelle, so dass in der Ozeanographie gern mit konditionellen Konstanten gearbeitet wird. Ein solcher Datensatz (nur einer unter vielen) ist zum Beispiel (für 25, 1 atm):4
thdyn K (I=0) | konditionell cK (Meerwasser) | ||||
---|---|---|---|---|---|
pK1 | 6.35 | 6.00 | |||
pK2 | 10.33 | 9.10 | |||
pKW | 14.0 | 13.9 |
Das folgende Diagramm vergleicht die mit 7 durchgeführten Berechnungen für den Standardfall (durchgezogene Linien basierend auf thdyn Gleichgewichtskonstanten K) und Meereswasser (gestrichelte Linien basierend auf cK). [Die Kurven für den Standardfall entstammen dem vorangegangenen Diagramm.]
W3 — Numerische Berechnung mit Aktivitätskorrekturen
Gleichung (7) beruht auf der Annahme idealer Wässer, bei der Aktivitäten (welche ins Massenwirkungsgesetz eingehen) durch Konzentrationen ersetzt werden. Hydrochemie-Programme heutzutage berücksichtigen Aktivitätskorrekturen und liefern damit realitätsnähere Ergebnisse als 7.
Das folgende Diagramm vergleicht die analytische Formel in 7 (durchgezogene Linien) mit numerischen Ergebnissen (Punkte), wie sie PhreeqC oder aqion liefern. [Eine Beispielrechnung für CT = 10-3 M ist hier.]
Zu beachten: Mit zunehmendem CT wächst auch die Ionenstärke. Das betrifft vor allem Na2CO3 (grüne Kurve und Punkte); für CT zwischen 1 und 10 M liegen wir bereits jenseits des Gültigkeitsbereich der Aktivitätsmodelle.
Neben der Aktivitätskorrektur gibt es einen zweiten Aspekt, in dem sich Hydrochemie-Programme von 7 unterscheiden. Letztere berücksichtigen aquatische Komplexe wie z.B. NaHCO3-, welche bei hohen Na2CO3-Konzentrationen zunehmend ins Spiel kommen.
Beispiel. Natürliche Wässer besitzen einen DIC zwischen 1 und 10 mM, d.h. 10-3 bis 10-2 M. So gelten für 1 mM folgende EP:
1 mM | H2CO3-Lösung: | pH = 4.68 |
1 mM | NaHCO3-Lösung: | pH = 8.27 |
1 mM | Na2CO3-Lösung: | pH = 10.52 |
Exakt die gleichen Ergebnisse erhält man, wenn NaHCO3 und Na2CO3 durch KHCO3 und K2CO3 ersetzt werden.5
Äquivalenzpunkte und Carbonat-Speziierung
Die Äquivalenzpunkte des Carbonatsystems werden in Textbüchern gern anhand von 2a bis (2c) erklärt, die auf der Gleichsetzung von Spezies-Konzentrationen beruhen:
[H+] = [HCO3-] | ⇒ | EP0 |
[CO2] = [CO3-2] | ⇒ | EP1 |
[HCO3-] = [OH-] | ⇒ | EP2 |
In Diagrammen entspricht dies den Schnittpunkten zweier Konzentrations-Kurven. In der folgenden Abbildung werden diese Schnittpunkte aus zwei Diagrammen (eines für CT = 10-3 M und eines für 10-4 M) in das obere pH-CT-Diagramm projiziert, wo diese als kleine Kreise auf der blauen und grünen EP-Kurve eingezeichnet sind.
Was man hier beobachtet, ist, dass die beiden externen Äquivalenzpunkte (EP0 und EP2) sich anders verhalten als der interne Äquivalenzpunkt EP1. Die externen EPs hängen vom CT-Wert ab:
EP0: | pH = 5.16 | (für CT = 10-4 M) | und | pH = 4.68 | (für CT = 10-3 M) | |
EP2: | pH = 9.86 | (für CT = 10-4 M) | und | pH = 10.52 | (für CT = 10-3 M) |
Dies aber trifft nicht für EP1 zu. Die Schnittpunkte in den beiden unteren Diagrammen treten exakt beim selben pH von ½ (pK1+pK2) = 8.34 auf. Vergleicht man das mit der roten Kurve im oberen Diagramm (welche den realen Verlauf wiedergibt), dann beschreibt die Schnittpunkt-Beziehung [CO2] = [CO3-2] nur das Verhalten bei hohen CT-Werten korrekt. Für kleine CT-Werte, also stark verdünnte Säuren, versagt sie.
Anmerkungen und Referenzen
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Man beachte: Der Äquivalenzpunkt und der “Titrationsendpunkt” (bei dem der Indikator seine Farbe wechselt) sind streng genommen nicht identisch. Der Äquivalenzpunkt ist auch als Wendepunkt der Titrationskurve bekannt (also als maximale Änderungsrate der Titrationskurve). ↩
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Ebenso gut kann man anstelle einer NaHCO3- bzw. Na2CO3-Lösung eine KHCO3- bzw. K2CO3-Lösung betrachten. ↩
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Zudem besteht noch eine (wenn auch sehr schwache) Abhängigkeit von der Ionenstärke. ↩
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FJ Millero: The thermodynamics of the carbonic acid system in the oceans. Geochimica et Cosmochimica Acta 59, 661–667 (1995) ↩
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Nur bei sehr hohen Konzentrationen kommt ein kleiner Unterschied zum Tragen: während Na aquatische Carbonatkomplexe bildet, tut es K so gut wie nicht. ↩